Das Wichtigste zuerst: schließt einen Vertrag zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung ab: je früher, desto günstiger. Ich dachte, als Schreibtischtäter, der ich nun mal bin, bräuchte ich das nicht. Ich könne immer arbeiten, außer mein Kopf wäre kaputt. Ein großer Irrtum. Es gibt so viele Krankheiten, die einen berufsunfähig machen, das glaubt man als junger Mensch nicht.
Also, mein Rat an alle: Schließt einen Vertrag zur Berufsunfähigkeit ab und hofft, dass ihr ihn nie brauchen werdet!
Aller Anfang ist schwer
Nach den ersten beiden Erfahrungen mit öffentlichen oder fachlichen Stellen (ehrenamtliche Beratung und Anwalt für Sozialrecht), die mir weiterhelfen können sollten, habe ich mich entschieden, alles selbst zu machen. Ich hatte die Nase voll von Menschen, die sich ein Urteil über mich erlaubten, ohne mich zu kennen, oder Ratschläge zu bekommen, die mit dem Gesetz in Konflikt standen.
Als Erstes wollte ich einen Antrag auf meine private Berufsunfähigkeitsversicherung stellen. Ich dachte, falls diese Versicherung bezahlt, dann muss das nicht im Lebenslauf auftauchen, weil es sich um eine private Vorsorge handelt. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber für mich war es so der richtige Weg. Also hieß es: Internetseite aufrufen, Formulare runterladen, ausfüllen, abschicken. Geschrieben in wenigen Worten klingt das, als wäre es leicht. Aber das ist es nicht. Denn ich musste mich erst überwinden, zuzugeben, wie krank ich bin, dass ich nicht arbeiten gehen kann, dass ich kaputt bin. Diese psychische Belastung war bei mir enorm. Ich habe diese Arbeit immer weit vor mich hergeschoben. Ich wollte keinen Stempel auf der Stirn „Chronisch krank! Kaputt! Arbeitsunfähig!“ Das Gefühl war schrecklich. Schon allein der Gedanke daran, hat mich müde werden lassen. Mir fehlte die Kraft, es anzugehen. Und ich habe mir eingeredet, vielleicht kann ich ja doch ein paar Stunden arbeiten. So schlimm ist es vielleicht nicht…
Die Bearbeitung dauert
Der faktische Arbeitsaufwand am Anfang war relativ gering, mein Weg bis zum Abschicken der Unterlagen war dagegen ein langer. Aber im August 2019 hatte ich es geschafft. Aufmerksame LeserInnen stellen fest, dass ich das in meiner akuten Krankheitsphase und zwischen Krankenhausaufenthalt 2 und 3 (Meine Colitis-Karriere) erledigt habe. Nach der Eingangsbestätigung passierte lange nichts. Und dann begann der Marathon: sie brauchten noch diese und jene Unterlagen, Zertifikate, Arbeitszeugnisse, Arztberichte und Atteste. Kaum hatte ich die eine Liste abgearbeitet, zusammengestellt und abgeschickt, kam ein neuer Brief mit weiteren Anforderungen. Das zog sich, bis ich Anfang 2020 zu einem von ihnen ausgewählten Gutachter gehen sollte. Dieser Termin musste zu allem Überfluss umgelegt werden, der Gutachter hatte sein Angebot zurückgezogen („Das ist noch nie passiert, das tut uns so leid, wir suchen einen neuen Gutachter, und wir schicken Ihnen einen neuen Termin…“ waren die Aussagen der Mitarbeiterin.). Die psychische Belastung war extrem. Ich hatte totale Angst, dass ich meine Symptome nicht ausreichend schildern würde, wichtige Details vergessen, und dass mein Antrag dadurch abgelehnt würde. Ich hatte Prüfungsangst.
Der Gutachter
Im März 2020 war es soweit. Der Gutachter war freundlich, und auch wenn er irgendwie halb abwesend wirkte, machte er seine Sache gut, hörte mir, wenn auch ungeduldig, zu. Als ich meine Geschichte erzählen sollte, brach ich in Tränen aus. Ich war mit meinen Nerven am Ende. Eine knappe Stunde sollte über meine Absicherung bzw. Zukunft entscheiden. Ich war ein nervliches Wrack.
Laut Versicherung bekämen sie den Gutachterbericht nach etwa drei bis vier Wochen. Aber es kam nichts. Ständig musste ich hinterher telefonieren, Emails schreiben, um über den Bearbeitungsstand informiert zu werden. Der Gutachter hätte weitere Unterlagen für seinen Bericht angefordert, lautete die Information. Die Ungewissheit nagte an mir. Sie entzog mir förmlich Körperkraft. Immer wenn ich mich mit diesem Thema beschäftigen musste, sei es, weil ich hinterhertelefonierte, sei es, weil ich einen Brief bekam, war ich sofort erschöpft und deprimiert. Ich ging nicht mehr zum Briefkasten und öffnete die Briefe nicht mehr, weil ich wusste, dass es entweder Vertröstungen oder Ablehnungen waren. Mein Mann musste das für mich erledigen.
Die Ablehnung
Im Juni kam ein dicker Umschlag der Versicherung. Endlich der ersehnte Bescheid. Im Anschreiben stand, dass die Versicherung meinen Antrag ablehnt. Es täte ihnen leid, aber die Daten des Gutachters würden kein anderes Ergebnis zulassen, bla bla bla. Der Boden wurde mir unter den Füßen weggezogen. Leere. Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit. Unverständnis. Wut. Alles gleichzeitig. Dann blätterten mein Mann und ich zum Gutachten, das angehängt war. In jedem Punkt diagnostizierte mir der Gutachter, dass ich weniger als 50% arbeitsfähig sei. Bei weniger als 50% Arbeitsfähigkeit greift die Versicherung, so steht es in der Police. Über unseren Köpfen schwirrten nur noch Fragezeichen: wie kann die Versicherung meinen Antrag ablehnen, wenn doch der von ihnen gestellte Gutachter meine Arbeitsunfähigkeit bestätigt hatte???
Der Trick war ganz einfach: der Gutachter diagnostizierte meine Arbeitsunfähigkeit auf Grund einer Depression und nicht auf Grund meiner Colitis ulcerosa. Da ich den Antrag auf Grund der Colitis ulcerosa gestellt hatte, konnten sie ihn ablehnen. Die Überschrift war schuld.
Der Kampf bis zur Genehmigung
Ab da wurde ich zum wütenden Kampfzwerg. Ich bin grundsätzlich ein friedliebender Mensch, aber wenn man mich für dumm verkaufen möchte, werde ich zum Viech. Ab jetzt hatte die Versicherung keinen Spaß mehr mit mir und meinem Mann. In mehreren Telefonaten drohten wir mit Klagen, falls sie nicht zahlen würden, da das Gutachten eindeutig sei. Ob sie sich wirklich auf die Überschrift zurückziehen würden und wir den ganzen Antrag noch mal stellen müssten? Durch den Mut der Verzweiflung wurden Kräfte in mir freigesetzt. Und nach weiteren fünf Monaten, also im November 2020, Ärger und wöchentlichen Telefonaten über den Bearbeitungsstand, kam im Juni der Anruf aller Anrufe: sie genehmigen meinen Antrag. Ich solle rückwirkend ab Krankheitsbeginn und zukünftig die Berufsunfähigkeitsrente erhalten. Was für eine Nachricht, was für eine Erleichterung. Nach 15 Monaten Ungewissheit, Hoffen und Bangen endlich die Erlösung.