Ich merke, wie die OP-Schmerzen weniger werden. Aber die Luft kommt immer wieder an den wunden Stellen im Inneren vorbei. Ich habe das Gefühl, beim Kaugummi kauen wird es schlimmer. Eine Ärztin verneint diesen Zusammenhang. Später sagt eine Schwester, wenn man etwas isst, schluckt man automatisch Luft. Das stimmt, denke ich. Also höre ich mit dem Kaugummi kauen relativ schnell auf. Es gibt Suppe (zum Frühstück ist sie wegen des Kühlwagens kalt) und Pudding. Ich trinke fleißig Anis-Fenchel-Kümmeltee, der hilft gegen Blähungen. Den Schmerztropf drücke ich einige Male, aber da die Schmerzen in Wellen kommen, wenn sich die Luft durchschiebt, bringt er relativ wenig. Ich gehe zwei Mal auf dem Flur spazieren. Da ich noch den Schmerztropf habe, kann ich nicht in den Park gehen. Also bleibt mir der Flur mit dem Neon-Krankenhauslicht. Wenn ich den Flur einmal hin- und hergelaufen bin, bin ich so müde, dass ich im Bett sofort einschlafe. Die Kunst ist, sich anzustrengen, sich zu fordern, damit man schnell wieder auf die Beine kommt, und gleichzeitig nicht zu überfordern, damit man keinen Rückschritt macht, oder schlimmstenfalls eine Naht reißt. Da ich ab heute wieder im Kämpfermodus bin, ist die Gradwanderung schwierig.
Atmen und Essen
Beim Einchecken ins Krankenhaus bekomme ich den Triflo, einen Atemtrainer. Beim Einatmen, hat den Schlauch des manuellen Gerätes im Mund, und je stärker der Sog ist, desto mehr von den drei Bällen werden die Tunnel nach oben gezogen. Diese Atemübungen sollen das tiefe Atmen trainieren und einer Lungenentzündung vorbeugen, die bei liegenden PatientInnen leichter auftreten kann als bei mobilen. Bei mir ist dieses ruckartige, tiefe Einatmen sehr schmerzhaft. Der Rippenbogen spannt sich schnell auf und ich habe das Gefühl, dass er damit an den inneren Wunden reißt. Schließlich verlief mein Dickdarm bis vor einem Tag noch genau am Rippenbogen vorbei. Ich gehe in Absprache mit den Fachleuten auf Pilatesatmung über. Die ist auch tief aber langsam und kontrolliert und sie verursacht mir keine Schmerzen.
Nach dem erfolgreichen Tag mit flüssigem Essen, Trinken, Gehen und Atemübungen, kommt abends eine heftige Übelkeit. Ich kann nicht zuordnen, ob es Unterzuckerung, also Hunger, Erschöpfung oder Kreislaufprobleme sind. Als es nach einem Schläfchen immer noch nicht besser wird, gibt mir die Nachtschwester MCP-Tropfen. Die helfen innerhalb weniger Minuten und ich kann die Nacht gut und erholsam schlafen.
Konfronatationstherapie
Der Chirurg kommt zwischendurch vorbei und sagt, es gab keinen Millimeter gesunden Gewebes mehr, alles war entzündet und vernarbt. Das heißt für mich, selbst wenn nächste Woche das Zaubermedikament auf den Markt kommen sollte, war es die richtige Entscheidung: kein Medikament kann vernarbtes Dickdarmgewebe heilen, bei mir war alles zu spät. So langsam merke ich auch, dass mein Chirurg ein ganz netter und vor allem ein richtig guter ist. Meine Zimmernachbarin kennt ihn und weiß, was er kann. Nun erkenne ich auch das Blitzen in den Augen und das Zwinkern, wenn er etwas sagt. Das scheint die Narkose gestern vernebelt zu haben.
Für die Nacht bekomme ich an meine Stomaversorgung eine Verlängerung mit einem 1-Liter-Beutel angeschlossen, damit ich nachts beruhigt schlafen kann. Es ist etwas unhandlich, sich damit umzudrehen, da ich Angst habe, den Schlauch rauszureißen und eine riesengroße Sauerei zu verursachen, aber es ist sehr hilfreich. Solange der Stuhl noch nicht eindickt und ich die Mengen noch nicht einschätzen kann, kommt mir dieses Hilfsmittel sehr gelegen. Aber natürlich ist auch dieser Beutel durchsichtig und den kann ich nicht unter dem Nachthemd oder in der Hose verstecken oder ein Tshirt drüberziehen. Nein, dieser Beutel liegt neben mir im Bett für alle sichtbar. Wie gesagt, diese Operationsserie ist eine Konfrontationstherapie.
Durch unser Zimmerfenster kann ich den Hubschrauberlandeplatz des Krankenhauses sehen. Und genau heute, am Abend des Tages meiner Operation landet ein Heli. Auch wenn ich schwach und müde bin, stemme ich mich hoch und filme mit dem Handy die Landung für meine Kinder.