Exakt eine Woche später merke ich ab nachmittags, dass das Stoma nicht mehr fördert – hoffentlich kein Subileus. Ein Stoma macht zwischendurch Pausen, aber dass mehrere Stunden gar nichts kommt, ist ungewöhnlich. Ich bekomme Bauchschmerzen. Ich trinke viel und bewege mich, um die Darmperistaltik ans Laufen zu bekommen. Abends gehe ich früh ins Bett und hoffe, dass es sich von alleine reguliert.
Subileus – der Rettungswagen kommt
Ich kann nicht schlafen, weil die Schmerzen immer schlimmer werden und die Wirbelsäule hochziehen. Im Bad massiere meinen Bauch, massiere um das Stoma herum, in der Hoffnung, etwas lösen zu können. Es ist klar, ich habe einen Darmverschluss, einen Subileus. Ich rufe die 116 117 an, um zu fragen, was ich machen könnte. Ich bleibe mehr als 45 Minuten in der Warteschleife, dann gebe ich auf, wecke meinen Mann. Der ruft den Krankenwagen. Am zweiten Samstag in Folge werde ich nachts mit dem RTW abgeholt. Dieses Mal lasse ich mich in die Uniklinik Bonn fahren. Ich gehe davon aus, dass sie den Darm nur anspülen und ich dann nach Hause kann. In der Notaufnahme bekomme ich direkt opioide Schmerzmittel. Zum Glück. Normalerweise fangen sie mit Novalgin-Infusionen an (wie meine Erfahrung mich gelehrt hat). Die helfen bei mir in solchen Fällen so viel wie Smarties. Mittlerweile übergebe ich mich im Minutentakt.
„Was halten Sie von einer Magensonde? Dann hört der Brechreiz auf.“ sagt die Ärztin.
„Nein, ich kann das nicht.“ Dazu muss ich erklären, dass ich durch die vielen Krankenhausaufenthalte, Tests, Untersuchungen und Blutabnahmen keine ÄrztInnen mehr sehen kann. Ich finde ALLES schlimm. Selbst Blutdruckmessen stört mich. Mein Kopf sperrt sich gegen alles. Außerdem habe ich von Magensonden nur Horrorgeschichten gehört, deshalb habe ich große Angst davor. Da kotze ich lieber weiter (entschuldigt die Ausdrucksweise, aber es war Kotzen, kein Übergeben, ich formuliere es so derb, wie es der Situation entspricht).
Die Magensonde
Ich werde auf Station verlegt und es kommen noch zwei Mal ÄrztInnen, um mich von einer Magensonde zu überzeugen. Ich lehne jedes Mal ab und kotze die ganze Nacht hindurch. Am nächsten Morgen, ich bin völlig entkräftet und von den Schmerzmitteln benebelt, kommt wieder ein Arzt. Er erklärt mir, wenn sie keine Magensonde legen dürfen, können sie nicht weiter therapieren. Sie müssen ein CT mit Kontrastmittel machen, um zu sehen, was los ist. Das Kontrastmittel würde ich sofort wieder erbrechen, damit wären die Bilder nicht zu gebrauchen. Nun willige ich doch ein, was bleibt mir anderes übrig?
Wie wird eine Magensonde gelegt?
Ich erkläre das ausführlich, damit meine LeserInnen wissen, was es bedeutet, eine Magensonde zu bekommen.
Für das Legen der Magensonde muss ich bei Bewusstsein sein. Ich bitte mehrfach darum, mich mit Propofol wegdämmern zu lassen, und mir die Magensonde zu legen. Geht aber laut ärztlicher Aussage nicht.
Die Schwester betäubt mit einem Spray mein Nasenloch und den Rachen. Dann bekomme ich ein Glas Wasser in die Hand gedrückt. Ich soll das Kinn zur Brust ziehen, so kann sie die Magensonde leichter einführen. Der Schlauch wird erst durch das Nasenloch geschoben. Wenn der Schlauch die Speiseröhre erreicht hat, soll ich einen Schluck Wasser in den Mund nehmen und in kleinen Portionen schlucken. Jedes Mal wenn ich schlucke, schiebt die Schwester den Schlauch weiter Richtung Magen. Das Schlucken unterdrückt den Würgereiz. Nach drei Gläsern Wasser sitzt die Magensonde. Ich spüre sowohl das Einführen in die Nase, als auch das Vorschieben Richtung Magen. Das Fremdkörpergefühl bleibt die gesamte Zeit bestehen. Schmerzhaft ist es aber nicht.
Vor der Entlassung frage ich den Arzt, wie ich das Magensondelegen für mich optimieren kann. Für das nächste Mal habe ich mir vorgenommen, direkt die Magensonde legen zu lassen, dann geht alles schneller vorbei. Ich darf weder mit Propofol noch mit Valium behandelt werden, weil beides den Schluckreflex unterdrückt, und das Legen der Magensonde verkompliziert. Sein Rat: viel hilft viel beim Betäubungsspray. Mehrmals in die Nase sprühen, bis wirklich alles taub ist, und auch den Rachen großzügig einsprühen. Das Spray verbleibt beim Patienten, also kann ich immer wieder nachsprühen. Da das überschüssige Spray in den Magen läuft, und alles aus dem Magen über die Magensonde abtransportiert wird, kann ich es quasi nicht überdosieren. So bleibt der Rachen betäubt und der Würgereiz unterdrückt.
Therapie des Subileus
Das CT ergibt, dass ein Knick im Dünndarm direkt vorm Stoma entstanden ist. Der Knick macht den Darmverschluss und muss mit einem Katheter aufgebogen werden. Von dieser Prozedur bekomme ich nichts mit, weil ich von den Schmerzmitteln so weggetreten bin. Irgendwann hatte ich einen Schlauch aus meinem Stoma im Versorgungsbeutel hängen. Da ich die Tricks mit der Magensonde noch nicht kenne, bekomme ich bei jedem Schlucken Brechreiz, weil ein Fremdkörper in meinem Hals steckt. Selbst wenn ich nur Speichel schlucke, muss ich würgen. Ich übergebe mich mehrmals wegen der Magensonde. Zukünftig werde ich mir besser helfen können.
Da der Stuhl nun über den Katheter ablaufen kann, geht es mir schnell besser. Ich lasse mir am Abend desselben Tages die Magensonde auf eigenen Wunsch ziehen mit dem Hinweis, dass bei Verschlechterung direkt wieder eine neue gelegt werden müsse. Das Risiko nehme ich in Kauf.
Der Knick und die Entlassung
Obwohl es mir schnell besser geht, treibt mich die Frage um, warum dieser Knick im Darm entstanden ist und ob das jetzt immer wieder auftreten kann. Der Arzt sagt, dass er aus den CT-Bildern lesen würde, dass es keine Anlage zu solchen Verstopfungen geben würde: mein Stoma sei vorbildlich angelegt, auch der Faszienspalt, durch den das Stoma zur Bauchdecke gezogen worden ist, sei zwar eng aber weit genug. Die Zeit würde bringen, ob ich öfter einen Subileus entwickeln würde, weil der Darm irgendwo abgeknickt wird. Ich hatte nichts Falsches gegessen oder gemacht, es war einfach Pech. Da nicht eindeutig ist, wie es weitergeht, möchte ich lernen, wie ich mich selbst katheterisieren kann. Unter Anleitung eines Assistenzarztes schiebe ich mir selbst einen Katheter in mein Stoma, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viel Kraft ich brauche, wo der Dünndarm verläuft.
„Vom Stoma ausgehend, in welche Richtung verläuft der Dünndarm?“ frage ich den Arzt.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Dünndarm liegt immer anders, weil er sich durch die Peristaltik so viel bewegt, dass die Richtung immer neu ist.“
Bei mir wurde der Katheter beim Subileus vom Stoma nach links geschoben. Als ich mich katheterisiert habe, musste ich gerade nach innen Richtung Wirbelsäule schieben, bevor eine Linksabbiegung kam. Ich muss also sehr vorsichtig sein, gut in mich hineinfühlen und ausprobieren. Und dabei nicht vergessen, dass ich die Dünndarmwand mit einem Katheter verletzen oder gar durchstoßen kann. Außerdem wird mir mit auf den Weg gegeben, dass ich nur maximal ein Mal pro Woche katheterisieren darf, da es dem Darm nie gut tut und immer ein Eingriff ist.