*** Ich verzichte in diesem Beitrag bewusst auf Bilder, da sie nur schwer erträglich wären.***
Blutungen unbekannten Ursprungs
An Tag 2 sind 200mL Blut in meiner Stomaversorgung. Im Gesicht des Pflegers ist sofort erkennbar, dass das keine standardmäßigen Nachblutungen sind. Ich beobachte durch den durchsichtigen Versorgungsbeutel der Klinik mein Stoma, finde aber keine Quelle. Also passiert erstmal nichts.
Abends möchte ich den Stomabeutel wechseln, weil die Platte unterlaufen ist. Es blutet unablässig, also kann ich keine neue Versorgung aufkleben. Ich bitte eine Schwester um Hilfe. Als sie sieht, wie viel Blut in der Mülltüte ist, holt sie eine Ärztin dazu. Während ich warte, liege ich mit offenem Stoma auf dem Bett. Blut, Stuhl und Gallenflüssigkeit laufen mir über den Bauch in die Mülltüte. Innerhalb einer Stunde ist meine Haut komplett wund und verätzt, so aggressiv ist Dünndarmstuhl. Die Ärztin kann die Blutung nicht lokalisieren, sie verordnet Adrenalinkompressen. Aber wie bringt man Adrenalinkompressen an ein Stoma an, über das ganz exakt eine Versorgung geklebt werden soll? Die Schwester und ich brauchen mehrere Anläufe. Es ist kein Adrenalin auf der Station verfügbar. Sie müssen es mehrmals in der Notaufnahme holen. So dauert die gesamte Prozedur vier Stunden. Vier Stunden mit offenem Stoma, Blutverlusten, verätzter Haut und großen Sorgen.
Am Ende dieses Tages hatte ich die Versorgung fünf Mal gewechselt, weil sie entweder falsch geklebt oder ausgelaufen war. Völlig erschöpft und mit schmerzender Haut schlafe ich ein.
Am nächsten Tag, also Tag 3, wird die Drainage aus meiner linken Pobacke gezogen und Aufbaukost 3 startet. Ich versuche die Episode mit den Blutungen abzuhaken und schöpfe neue Motivation.
Erneute Blutungen
Am vierten Tag verstärken sich die Blutungen erneut. Der Beutelinhalt ist wieder komplett rot. Ich werde panisch. Auf der anderen Seite komme ich mir mittlerweile blöd vor, den ÄrztInnen ständig von Blutungen zu erzählen, die sie als „normal“ abtun. Am frühen Nachmittag werden die Blutungen so stark, dass ich sie durch den durchsichtigen Stomabeutel filmen kann. Nun ist klar, das Blut kommt aus dem Stoma. Es sind nicht die Nähte oder die Dünndarmschleimhaut des Stomas, es muss innen etwas nicht in Ordnung sein. Mit dem Handyfilm glauben mir auch endlich die ÄrztInnen. Nach zwei vollen Tagen. Ich solle nüchtern bleiben, es müsse ileoskopiert werden. Sie wollen in meinen Dünndarm und gegebenenfalls in meinen Pouch schauen. Es ist 15 Uhr.
Die Ileoskopie
Um 19:30 Uhr frage ich im Stationszimmer nach, wann ich abgeholt werde. Niemand weiß von einer Ileoskopie. Nach einem Telefonat ist klar, die Ileoskopie ist auf morgen verschoben, weil laut Akte die Blutungen aufgehört hätten. Ich bin nun richtig wütend: erstens bin ich umsonst nüchtern geblieben und keiner hielt es für nötig, mir von der Verschiebung des Eingriffs zu erzählen, zum anderen ist mir schleierhaft, woher die Information kommt, dass die Blutungen aufgehört hätten.
Im Nachhinein erinnere ich mich, dass mein Operateur kam, um mich über die Operation der Pouchanlage zu informieren. In einem Nebensatz fragte er nach den aktuellen Blutungen und nach einem Blick auf meinen Beutel sagte ich: „Gerade blutet es nicht.“ Dass die Blutungen schwallartig und in unregelmäßigen Abständen kommen, ist diesem Arzt nicht klar. Er sieht er mich – ausgenommen während der Operation – zum ersten und einzigen Mal. Wahrscheinlich kam der Akteneintrag „Blutungen haben aufgehört“ von ihm.
Mein Stoma blutet munter weiter, am nächsten Morgen soll ich wieder nüchtern bleiben, um 13 Uhr werde ich zur Ileoskopie abgeholt. Als ich aufwache, sagen mir die ÄrztInnen, sie hätten nichts gefunden, es seien normale Schleimhautblutungen. Auch wenn ich es mir nicht vorstellen kann, versuche ich, das zu glauben und mich zu beruhigen.
Tags darauf ist mein Ruhepuls 95, viel zu hoch. Ich fühle erschöpft, müde, schlapp und frage, ob ich dehydriert sein könnte. Schließlich musste ich die letzten Tage oft nüchtern bleiben, das Stoma aber förderte die gesamte Zeit weiter und ich verlor viel Blut. Ich bitte um eine Infusion. „An alles muss ich selber denken“ geht mir durch den Kopf. In einer so spezialisierten Abteilung müsste meiner Meinung nach ein Automatismus implementiert sein, dass StomaträgerInnen oder Pouchis bei Nüchternheit direkt eine Flüssigkeitsinfusion bekommen, um Dehydrierung zu vermeiden.
Das Bluten geht weiter
Wenn ich zur Toilette gehe, kommt rektal Blut. Eine never-ending-story. Mir wird klar, ich muss diesen Blutverlust für die ÄrztInnen messbar machen. Ich brauche eindeutige Informationen. Wörter wie „viel“, „mehr“ oder „stark“ sind subjektiv und werden schnell abgetan. Also zähle ich die Sekunden, die Blut aus meinem Po läuft. 15 Sekunden rotes Blut, alle zwei Stunden. Bei der Abendvisite gebe ich diese Information weiter. Die ÄrztInnen schreiben es auf: „Wir haben ja in der Ileoskopie nichts gefunden, das sind Schleimhautblutungen. Aber informieren Sie uns ruhig weiter.“
Ich merke, dass das keine Messbarkeit ist, mit der ich weiterkomme: „Soll ich das Blut in einem Messbecher auffangen?“
„Das können Sie machen.“ klingt für mich eher wie „Hauptsache sie gibt endlich Ruhe“.
Ich hole mir einen Messbecher bei den PflegerInnen. Es sind zwischen 75 und 100 Milliliter reines Blut. Bei diesem Anblick wird selbst mir schlecht und vor meinen Augen tanzen Sterne. Mit gummiartigen Beinen und in Schlangenlinien bringe ich den Messbecher zum Stationszimmer: „Ich soll für die ÄrztInnen das Blut, das rektal kommt, auffangen.“ Die Schwester nimmt den Becher entgegen und ihr entgleisen die Gesichtszüge. „Und das kommt rektal?!“ fragt sie fassungslos. Sie greift direkt zum Telefon. Drei Minuten später steht eine Chirurgin vor mir: „Ich höre, Sie haben eine akute Blutung?“
„Akut ist relativ, eher akut chronisch, ich habe das seit vier Tagen. Aber bis jetzt wurde es immer als normal abgetan.“
„Sie haben zu Abend gegessen, richtig? Wir können keine sechs Stunden warten, dann müssen wir Sie jetzt richtig narkotisieren und intubieren.“
„Soso, vier Tage wurden meine Blutungen nicht ernst genommen und nun können sie keine sechs Stunden warten. Das ist ja interessant.“ denke ich. Zurückgerechnet habe ich in den letzten Tagen circa vier Blutspenden abgegeben.
Die zweite Ileoskopie
Um 20 Uhr werde ich in den Vorbereitungsraum geschoben. In dieser Ileoskopie finden sie zunächst wieder nichts, aber dann sehen sie zwei kleine Blutgefäße, die ins Darmlumen ragen. Die werden geklippt.
Das ist des Rätsels Lösung. Nach diesem Eingriff geht es steil bergauf. Erstmals fühle ich mich gut. Ich habe keine Bauchschmerzen, mein Stoma fördert, es kommt fast kein Blut mehr, einen Tag später hört es komplett auf. Und zwei Tage nach dem Eingriff kann ich endlich nach Hause. Ich bin ziemlich entkräftet und müde, und der stark gesunkene Hämoglobinwert lässt mich schnell aus der Puste kommen, aber ich darf heim. Endlich.
Ich kann Euch nur raten:
Hört auf Euren Körper! Wenn Ihr das Gefühl habt, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann sagt das den ÄrztInnen und bleibt hartnäckig. Versucht Euren Eindruck messbar zu machen, dann wird Euch eher geglaubt.
Ich werde das in Zukunft direkt so machen.
Es ist eigentlich nicht zu fassen, wie viel Du in dieser ganzen Krankengeschichte nicht gehört, nicht ernst genommen wurdest. Ich erinnere mich und es erschreckt mich, dass es sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte zieht, es macht mich fassungslos, traurig und wütend.