An Tag 3 wird der ZVK gezogen. Endlich. Ich fühle mich frei. Ich kann ohne Schläuche und Infusionsständer durch die Gegend laufen. Ich kann duschen. Ich bekomme den ersten Besuch: meine Freundin kommt. Da ich eine halbe Stunde nach dem Ziehen des ZVK liegen muss, um einer Luftembolie vorzubeugen, können wir nicht zusammen in den Park gehen. Wir quatschen einfach im Zimmer und im Besucherbereich der Station.
Außerdem kommt heute zum ersten Mal die Stomatherapeutin zu mir – das wird meinen Krankenhausaufenthalt unnötig verlängern, wie sich später herausstellt. Sie gibt mir ein Täschchen mit allen wichtigen Sachen. Erklärt ein bisschen Allgemeines. Ich hatte mir Fragen aufgeschrieben. Zum Beispiel stinkt mein Kot seit der Operation sehr stark. Ob das so bleiben würde? Man könne das mit Lebensmitteln beeinflussen, und der Darm müsse sich noch regulieren. Quark und Joghurt sowie Petersilie hemmen die Gerüche, Zwiebel, Knoblauch und Fleisch verstärken sie. Die Stomaversorgung wird bei diesem Termin nicht gewechselt, weil sie gerade gestern von den Schwestern gewechselt wurde. Und das ist die Krux: ich muss die Stomaversorgung ein Mal unter Anleitung der Stomabetreuerin wechseln, um das „go“ für die Entlassung zu bekommen. Das wusste ich zum Termin noch nicht. Nun muss ich bis Montag warten, bis wieder jemand kommt und ich nach Hause darf. Sonst hätte ich am Wochenende gehen dürfen.
Aufbaukost
Die Aufbaukost klappt auch gut. Der Stuhl dickt durch das Kartoffelpüree gut ein. Ich scheine kein High-output-Stoma zu haben. Hurra! Bei gekochten Karotten bin ich sehr vorsichtig. Sie dicken Stuhl sehr stark ein, meine Babys haben bei der Beikosteinführung so stark Verstopfung bekommen, dass ich ihnen keine Möhren mehr gegeben hatte sondern nur noch Kürbis. Daher bin auch ich vorsichtig, ich möchte nicht, dass mein Stoma verstopft. Ich bin sehr froh über meinen Beruf, denn ich kann beim Kostaufbau viel aus meinem Studium nutzen.
Durch das salzige Essen, das Spazieren, das für mich wie Sport ist, und die warme Sonne habe ich viel Durst. Ich trinke mehr als die zwei Liter, die der Dünndarm verarbeiten kann. Die Rechnung kommt prompt: ich habe sehr dünnen Stuhl. Ich muss Informationen für mich immer testen: die ChirurgInnen sagten, der Dünndarm könne nur zwei Liter Flüssigkeit pro Tag verarbeiten, danach ist die Kapazitätsgrenze erreicht, es wird nichts mehr resorbiert. Jetzt kann ich sagen, die ChirurgInnen hatten Recht.
Außerdem wurde mir ans Herz gelegt, dass ich mehrere kleine Mahlzeiten essen soll. Und zum Essen nur wenig trinken, da sonst die Nährstoffe nicht aufgenommen werden können. Also hebe ich mir den Joghurt vom Frühstück für später auf, das gleich mache ich beim Mittagessen. Aber mit diesen kleinen Mahlzeiten komme ich nicht klar. Das war noch nie was für mich und im Krankenhausrhythmus schon gar nicht. Wenn ich nicht viel zum Essen trinken darf, immer kleine Mahlzeiten essen soll und zwischen Essen, Trinken und Zähne putzen Zeit liegen soll, dann wird mir der Tag zu kurz, um mich an alle Regeln zu halten. Ich gebe das Konzept der Zwischenmahlzeiten schnell wieder auf. Und mein Stoma macht das gut mit.
Ich setze die Schmerzmittel ab
Ich nehme ab dem 5. Tag keine Schmerzmittel mehr. Ich habe noch Schmerzen. Aber ich brauche den Schmerz, damit ich meine Grenzen spüre. Das ist nicht masochistisch sondern ein Selbstschutz. Schmerzen zeigen Grenzen auf. Wenn ich beim Spazieren gehen merke, dass meine OP-Bauchschmerzen stärker werden, weiß ich, dass ich eine Pause machen muss oder ganz aufhören. Mit Schmerzmitteln würde ich dieses Körpersignal nicht wahrnehmen können. Auch beim Essen hilft es mir: habe ich gut genug gekaut, merke ich Luft im Darm, bin ich satt? All das lässt sich ohne Schmerzmittel besser fühlen. Dieser Weg ist für mich richtig, ich kann Bauchschmerzen gut aushalten (Kopf- oder Zahnschmerzen dagegen gar nicht), kann damit schlafen. Manchmal überrollt mich eine Schmerzwelle, Luft passiert eine OP-Stelle. Dann werde ich ganz blass, ich krümme mich und muss die Atmung anwenden, die man in Geburtsvorbereitungskursen lernt. Diese Wellen lassen aber schnell wieder nach. Und für die Luft im Darm lasse ich mir am dritten Tag sab simplex von den PflegerInnen geben, das hilft mir sehr. Ich hoffe nur, dass sich das Problem mit dem Kostaufbau und der Zeit ausschleicht, denn mein Leben lang solche Schmerzwellen bei Luft im Darm zu haben, das würde mich tatsächlich zermürben.
Große Fortschritte
Mein Mann kommt am Samstag zu Besuch. Obwohl die OP erst fünf Tage zurückliegt und ich noch OP-Schmerzen habe, sagt er, würde ich schon wieder viel besser aussehen als vorher. Nicht nur in den Schüben, wenn es mir schlecht ging, sondern auch verglichen mit der Zeit, wenn es mir vergleichsweise gut ging. Das ist für mich unglaublich aber auch grandios. Und erschreckend. Immer wieder stelle ich rückwirkend fest, wie schlecht es mir gegangen sein muss, und wie sehr ich es entweder verdrängt habe oder gar nicht mehr gemerkt.
Durch meine schnellen Fortschritte in der Genesung muss ich nicht wie angenommen 10 Tage in der Klinik bleiben, sondern darf an Tag 7 raus, wie gesagt, weil ich auf die Stomatherapeutin warten muss, um ihr ein Mal zu zeigen, dass ich es kann.
Montag früh um 9 Uhr bin ich die Erste, zu der die Stomatherapeutin kommt, der Termin wird kurzgehalten und ich werde um 10:30 Uhr von meinem Mann abgeholt. Home sweet home!