Heute ist es soweit!
Morgens um 6 Uhr kommt die Frühschicht zum Blutdruck und Fieber messen, gibt mir die Kompressionsstrümpfe, das OP-Hemd und die Haube. „Wann wird mein Stoma-Punkt angezeichnet? Gestern hieß es heute Morgen.“ – „Fragen Sie unten im OP.“ Es kommt mir schon seltsam vor, ich kenne, dass das am Tag vor der OP gemacht wird. Aber vielleicht ist es wegen des Feiertags anders.
Ich werde die erste im OP sein. Um 7:15 Uhr werde ich abgeholt. Direkt an der Schleuse muss ich mein OP-Hemd ausziehen und mich nackt (bis auf die Kompressionsstrümpfe) auf die Liege im sterilen Bereich legen. Ich kenne das so nicht und fühle mich total entblößt. Bis jetzt durfte ich mein OP-Hemd immer bis zur Narkose anbehalten, womit ich mich deutlich wohler fühlte. Mein entblößtes Gefühl verstärkte sich zusätzlich, weil der Pfleger, die mich durch den OP-Bereich schiebt, männlich ist. Ich bin mit einer Wärmedecke zugedeckt, und der Kerl sieht den ganzen Arbeitstag nur nackte Menschen, dem ist das bestimmt egal, aber ich fühle mich ausgeliefert und nackt. Der OP-Bereich in Köln-Porz ist ziemlich groß und ich werde durch einige Flure geschoben, bis ich im Vorbereitungsraum ankomme. Der Anästhesist ist freundlich. Wie in www.colitisblog.de beschrieben wird man an jeder neuen Station gefragt, was operiert wird: der Pfleger an der Schleuse, der Anästhesist, die Anästhesieschwester, jedes neue Gesicht fragt, was gemacht wird. Nachdem ich den Pfleger an der Schleuse nach meinem Stomapunkt gefragt hatte und er mich vertröstete, frage ich nun als vierten den Anästhesisten: „Wann wird mir der Stomapunkt angezeichnet? Dafür muss ich ja sitzen und mit Narkose kann ich das nicht mehr.“ – Stille, staunen, überlegen. – „Ja, da haben Sie Recht. Warten Sie, ich hole mal den Chirurgen.“ Irgendwie fühle ich mich gerade nicht sehr gut aufgehoben. Der Chirurg kommt. „Setzen Sie sich mal auf.“ Ich setze mich auf, der Chirurg nimmt den Marker und zeichnet irgendwo rechts neben meinen Bauchnabel einen schwarzen Punkt. Es dauert etwa zweieinhalb Sekunden und es fühlt sich an, wie das Kinderspiel, bei dem man mit verbundenen Augen einem gemalten Esel mit einer Reiszwecke den Schwanz anpinnen soll. Er schwingt einfach den Marker über meinem Bauch und landet gefühlt zufällig dort. „Das müsste passen.“ sagt er flapsig, was mein ungutes Gefühl weiter verstärkt. „Sind Sie sicher???“ fragt ich leicht panisch. „Ach ja, es ist ja sowieso nur für ein paar Wochen.“ ist seine wenig beruhigende Antwort. „Chirurgen!“ denke ich nur, „Schnippeln können sie, aber mit Menschen umgehen nicht. Ich muss ja ‚die paar Wochen‘ damit leben und nicht Du!“ Ich bin kurz davor, von der Liege zu steigen und wegzugehen. Aber mein Wille, diesen vermaledeiten Dickdarm loszuwerden, ist stärker. Danach sucht der Anästhesist meinen PCR-Test und bevor ich etwas sagen kann, verschwindet er wieder. Er kommt mit einem Selbsttest zurück. Man würde meinen PCR-Test nicht finden, wolle mich aber operieren, es würde jetzt ein Selbsttest reichen. Nun bin ich endgültig verunsichert: wenn sie es organisatorisch nicht hinbekommen, meinen PCR-Test von der Station zum OP zu übermitteln, wie sollen sie mich dann operieren können? Ich erkläre dem Anästhesisten genau, wann ich meinen Test gemacht, das Ergebnis bekommen und wie ich es der Klinik mitgeteilt hatte. Daraufhin sagt er: „Okay, ich glaub Ihnen jetzt mal. Dann leg ich Sie jetzt schlafen.“ Ich denke nur: „ENDLICH!“ Er bereitet mich vor, setzt mir die Maske auf und sagt: „Das ist nur Sauerstoff.“ Es riecht nach Plastik, mir wird schwummrig und denke nur „Am Arsch nur Sauerstoff“, dann bin ich weg.
Die Operation ist geglückt
Ich werde im Aufwachraum wach. Die Schmerzen sind nach der Klinik-Skala bei 7 (von 10). Es wird mir immer wieder etwas gespritzt, aber die Schmerzen ändern sich nicht. Ich schlafe immer wieder ein. Da ich noch sehr benommen bin, weiß ich nicht, wie lange ich im Aufwachraum bin. Irgendwann sagt eine Schwester, dass es nicht sein könne, dass ich immer wieder einschlafe, scheinbar mein Blutdruck normal wäre und ich immer sagen würde, ich hätte unverändert starke Schmerzen. Danach werde ich relativ zügig in mein Zimmer zurückgebracht. Ich kenne das von mir. Schmerzmittel helfen bei mir großteils nicht so wie bei anderen (Meine Colitis-Karriere). Ich hatte das bei den Eingangsuntersuchungen gesagt und es wurde vermerkt. Aber es findet keine Anwendung. Es ist für mich psychisch schwer auszuhalten, dass mir unterstellt wird, ich würde simulieren oder ich würde nichts aushalten oder vielleicht sogar ich wäre ein Ex-Junkie und selber schuld, dass nix wirkt. Ich fühle mich hilflos und ausgeliefert. Nun muss ich auch in dieser Klinik nach dieser Operation da durch, aber ich weiß, ab Tag 1 (wenn heute Tag 0 ist) bin ich wieder eine Kämpferin.
Die Operation ist komplikationslos verlaufen, mein Mann wurde unverzüglich informiert. Ich bin erleichtert. Ich taste an meinem Bauch, sehe nach dem Beutel. Meine Colitis ist rausgeschnitten. Der Chirurg, der mir den Punkt angezeichnet hat, kommt aufs Zimmer, um nach mir zu sehen. Er sieht ernst aus, erzählt, was alles gut gelaufen ist. Ich sitze wie auf heißen Kohlen und warte die ganze Zeit, dass er sagt „aber“. Es kommt kein „aber“. Er erzählt nur Gutes über die Operation, danach geht er und ich bleibe ratlos zurück. Wie, es ist alles glatt gelaufen? Wie, es gibt kein „aber“? Das kann ich gar nicht glauben. Aber es scheint so zu sein. Es wird bestimmt einige Zeit dauern, bis ich dieses Glück begreifen können werde.
Ich bin unendlich müde. Meine Nachricht, an alle FreundInnen, die mitfiebern, schreibe ich: „alles ist komplikationslos verlaufen. Ich bin müde, und weiß nicht, was ich noch schreiben soll.“
Mobilisierung wird in diesem Krankenhaus großgeschrieben. Am Tag der Operation soll man mindestens auf der Bettkante sitzen, am besten schon aufstehen oder rumlaufen. Ich setze mich ein Mal auf die Bettkante und gehe ein Mal zur Toilette. Mehr schaffe ich nicht. Ich trinke ein Fläschchen Fortimel, eine Trinknahrung, verteilt über den Tag, und etwas Wasser. Der Darm soll sofort wieder Arbeit bekommen, damit er wieder in Gang kommt und damit die ÄrztInnen sehen, ob alles gut funktioniert. Kaugummi kauen fördert ebenfalls die Darmperistaltik. Die Darmperistaltik bzw. Darmbewegung ist durch die Narkose und das Liegen verlangsamt. Durch Essen oder Kaugummi kauen wird sie wieder in Gang gebracht. Bei Operationen am Magen-Darm-Trakt ist das essentiell. Also tue ich mein Bestes: ein bisschen trinken, ein bisschen Trinknahrung, Kaugummi kauen und Bewegung.
Die Stomaversorgung in der Klinik ist durchsichtig. Neben der Neuerung, dass ich keinen Dickdarm mehr habe, mir ein Stück Dünndarm durch die Bauchdecke gezogen und festgenäht wurde, und nun ein Beutel drüber gestülpt ist, kann nun jeder sehen, welche Farbe und Konsistenz mein Kot hat. Inklusive mir. Das nenne ich Konfrontationstherapie! Ich bin froh, dass ich ein Wickelkind zu Hause habe. Ich habe jeden Tag mit Scheiße zu tun. Großteils ist sie nur in der Windel, aber die quillt auch schon mal über, dann hängt sie am Body, Hose, beim Saubermachen am Rücken, der Wickelunterlage und und und. Die Liste kann endlos sein. Alle Eltern wissen das. Daher bin ich abgehärtet. Ja, nun ist es mein Kot, den ich sehe und ich muss sagen, ich finde es ekliger als den Kot meines Kindes. Aber Scheiße ist Scheiße. Also leere ich von Beginn an meinen Beutel selber aus.
Ich habe mir keinen PDK (Periduralkatheter) legen lassen. Ich habe also keine Nadel im Rückenmark, über die ich Schmerzmittel bekomme. Es soll zur Schmerztherapie sehr gut geeignet sein. Allerdings habe ich eine sehr schlechte Erfahrung aus 2019 (Meine Colitis-Karriere), so dass das für mich nicht in Frage kommt. Ich habe aber einen ZVK (Zentralvenenkatheter), über den ich die Schmerzmittel bekomme. Ich habe eine Pumpe, die ich selbst drücken kann, wenn die Schmerzen zu stark werden. Bei mir kommen die Schmerzen in Wellen, dann steigen sie bis zu 8 an. Irgendwann verstehe ich, dass es Luft ist, die sich an den inneren Wunden vorbeischiebt. Ich kenne das von 2019, dass Luft mega-schmerzhaft sein kann. Ich drücke an Tag 0 den Schmerzknopf, aber ich habe keine Ahnung, wie oft. Die Erinnerung an diesen Tag ist schwammig bis nicht vorhanden, zum Glück habe ich meine Aufzeichnungen.
Neben dem ZVK in der Halsvene, den Pflastern und dem Stoma am Bauch habe ich eine Drainage im Po. Es ist ein Röhrchen, das die Flüssigkeit aus dem Hartmannstumpf ausleiten soll. Der Hartmann-Stumpf sind die blind vernähten etwa 15 cm Dickdarm, die in meinem Körper geblieben sind. Damit lässt sich später die Konstruktion des J-Pouches besser anschließen. Da Stuhlgang bis zu 30% aus abgestorbenen Darmzellen besteht, wird bei mir über den Hartmann-Stumpf nun auch immer etwas Zellflüssigkeit ausgeschieden. Nach der OP mit der frischen Naht soll man nicht drücken, außerdem soll Wundflüssigkeit (falls vorhanden) ungehindert abfließen können. Also habe ich ein Röhrchen im Hintern, so kann alles abfließen. Ich trage Krankenhausnetzunterhöschen und eine dicke Vorlage. Ich bin Dreifachmama, solche Vorlagen sind für mich bekannt. Für Männer oder Frauen ohne Kinder stelle ich mir das ungewohnt und vielleicht auch unangenehm vor. Die Mengen, die bei mir aus dem Röhrchen kommen, sind weniger als eine normale Regelblutung.
So, ich glaube nun habe ich alle Nähte, Drainagen, Pflaster und Zugänge aufgezählt.