Den Körper fit zu machen für die J-Pouch-Operation ist die eine Sache. Schnell wieder aus dem Krankenhaus rauskommen die andere. Letzteres ist für kleine Kinder immens wichtig. Jeden Tag, den ich nicht im Krankenhaus verbringen muss, ist ein gewonnener Tag. Das ist mein Ansporn. Die Motivation, für meine Kinder da zu sein, möglichst schnell wieder zu Hause zu sein, zum Spielen, Lesen, Kuscheln, ist die beste, die ich haben kann. Ich muss gestehen, ginge es nur um mich, hätte ich mich lange nicht so angestrengt.
Wir sprechen seit Beginn der Krankheit kindgerecht über das Thema Colitis ulcerosa und nun eben auch über die bevorstehende Operation. Uns hilft, dass wir schon vor Jahren die Stoffpuppe „Erwin, der Patient“ von Dr. Grönemeyer und sigikid™ gekauft hatten. In dieser Puppe sind alle Organe enthalten. Ich kann damit sehr gut erklären, was bei mir rausgeschnitten wird und wo mein Stoma (=künstlicher Darmausgang) liegen wird. Mein Mann und ich haben den Kindern erzählt, dass mein Dickdarm entfernt wird, und ich einen Kackabeutel an den Bauch bekomme. Da ein Stoma keinen Schließmuskel hat, pupst es unkontrollierbar, wann immer Luft nach draußen will. Ich möchte nicht, dass bei Tisch, wenn das Stoma mal wieder pupst, die Kinder sagen, ich würde die ganze Zeit pupsen. Vielleicht erzählen sie das dann auch im Kindergarten?! Also habe ich mein Stoma von Anfang an Lieselotte getauft: „Ich bekomme Lieselotte. Die pupst auch einfach so… Merkwürdig, oder?“ Für Kinder ist damit von Anfang an klar, da kommt was Neues. Und damit ist die Geschichte für sie meistens schon erledigt. Mein Dreijähriger fragt seitdem gerne mal zwischendurch, ob Lieselotte schon da sei, obwohl ich noch nicht im Krankenhaus war. Für ihn ist die Sache noch sehr abstrakt, aber wenn ich „nein, noch nicht“ sage, ist er zufrieden und widmet sich einem anderen Thema.
Ich habe nach Büchern Ausschau gehalten, die wir den Kindern vorlesen können, die erklären, was gerade in unserer Familie passiert. Zum einen habe ich von der Deutschen ILCO e.V. „Mama, Lars und das Stoma -Ein Stück Leben“ gefunden. Hier geht es um eine Mama, die ein Stoma bekommt, und ihren Sohn, der mit der Situation umgehen lernt. Das andere ist „Ein Koffer voller Mama-Momente – Mama muss ins Krankenhaus“ von Anja Freudiger. Hier wird nicht gesagt, warum Mama ins Krankenhaus muss, nur was in den Kindern vorgeht. Bertil hat im Buch die Idee, Mama-Momente zu sammeln für die nächste Zeit, wenn Mama wieder ins Krankenhaus muss: er nimmt ihre Stimme auf oder stibitzt ihre Lieblingskirschbonbons. So kann er sich in der Zeit ohne Mama seine Mama-Momente selbst gestalten.
Daran angelehnt lese ich für meine Kinder ihre Lieblingskinderbücher ein. Ich habe nicht den Anspruch, dass es perfekt sein muss wie ein Hörbuch. Ich stelle mein Handy stumm, nehme mir das Buch, mache die Aufnahme-App auf dem Tablet an und lese drauflos. Versprecher und Räusperer bleiben drauf. So klingt es auch, wenn ich mit ihnen im Bett sitze und vorlese.
Kinder lieben den Mama-Geruch, das ist das erste, was sie nach der Geburt riechen. Dort liegt für sie die Geborgenheit. Mit den heute aktiven Vätern ist der Papa-Geruch genauso wichtig. Also beziehe ich eine Woche vor der Klinik die Betten frisch und packe mein Bettzeug in eine Plastiktüte, damit der Mama-Geruch bleibt. Auch meine Schals aus dem Schrank lege ich beiseite. So hat später jeder etwas zum Schnuffeln.
Ich überlege, eine Abschneideraupe mit den Kindern zu basteln, bis zum Tag der Klinik oder für die Zeit in der Klinik. Bei letzterem habe ich aber Angst, dass ich wegen Komplikationen länger bleiben muss, und die Kinder dadurch mehr irritiert werden als dass es ihnen helfen würde. Für die Zeit bis zur Klinik frage ich sie, aber sie wollen nicht. Ich denke mir, man muss nicht mehr Fokus drauflegen als die Kinder. Es geht darum, die Kinder aufzufangen, ihnen Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln.
Trotz der guten Vorbereitung kommt es doch anders als geplant. Wegen der Corona-Erkrankung meines Jüngsten und meines Mannes muss ich fünf Tage vor der Operation Hals über Kopf das Haus verlassen und mich bei den Nachbarn isolieren. Für den Jüngsten ist das sehr verwirrend. Morgens darf er noch kuscheln und auf Mama aufm Arm sein, eine Stunde später nicht mal mehr im gleichen Zimmer. Es dauert zwei Tage, bis er diesen Umstand annehmen kann. Davor möchte er mich immer umarmen, wenn ich vor dem Fenster stehe, um beim Abendessen zuzuschauen, am Gartentörchen stehe, um mit ihnen zu sprechen. Ostern und die Suche nach den Süßigkeiten verfolge ich am Gartentörchen mit, den 8. Geburtstag des Großen durchs Fenster. Das ist richtig beschissen für mich. Aber wir holen alles nach.